Zwischen Markt und Moral: Warum Özdemirs „bürgerlicher Klimaschutz“ nicht reicht
Cem Özdemir, grüner MP-Kandidat hier in Baden-Württemberg, warnt vor einem „Linksruck“ der Grünen – und trifft damit einen Nerv. Vor allem meinen.
Wenn Özdemir seine Partei zur „einzigen bürgerlichen Oppositionspartei“ erklärt und den Markt zum Klimaverbündeten (also den Bock zum Gärtner) machen will, klingt das in der Tat wie eine Bewerbung – nur leider nicht für mutige Politik, sondern für die Koalitionsverhandlungen von morgen mit anderen sich als bürgerlich apostrophierenden Wirtschaftslobbyparteien. Seine Forderung: weniger Umverteilungsdebatten, mehr Vertrauen in marktwirtschaftliche Lösungen. Übersetzt heißt das: Ich scheiße auf soziale Gerechtigkeit, solang’s beim Daimler und bei Heckler&Koch brummt. Das passende Schreckgespenst hat er auch im Gepäck: Lasst uns nicht wie die SPD enden, also als marginalisierte Ex-Volkspartei. Doch wer so redet, hat längst begonnen, wie die CDU zu denken.
Denn was hier als „Zurück zum Markenkern“ verkauft wird, ist in Wahrheit die endgültige Preisgabe des grünen sozialökologischen Projekts. Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit ist nicht nur blind – er ist im Ansatz elitär und im Ergebnis unwirksam. Wer Transformation ernst meint, muss erklären, wer sie bezahlt – und wer das nicht tut oder das Geld nicht an den richtigen Stellen holt, treibt die Verlierer:innen dieser Umbrüche genau dorthin, wo Özdemir sie fürchtet: zur AfD.
Seien wir uns im Klaren darüber: Allein die Frage der Verteilungsgerechtigkeit entscheidet, ob wir als Gesellschaft durch die Klimakrise zusammenrücken oder (weiter) auseinanderbrechen – und ob wir ihr wirkunsgvoll etwas entgegensetzen können. Reichtum umverteilen, Konzernmacht brechen, Frieden über Aufrüstung stellen – das sind keine Altlinken-Parolen, sondern politische Überlebensfragen in einer Zeit multipler Krisen.
Özdemir sagt, die Grünen sollten keine bessere Linke sein (wollen). Vielleicht sollte er sich lieber fragen, ob sie noch eine glaubwürdige grüne Partei sind, wenn sie die soziale Frage so konsequent ignorieren. Denn zwischen Markt und Moral liegt ein Abgrund – und wir müssen wählen, auf welcher Seite davon wir stehen wollen.
Tuvalu kämpft ums Überleben. Wir um den Erhalt des Status quo.
Funafuti, Hauptstadt von Tuvalu. Foto: Lily‑Anne Homasi / DFAT (2011), via Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
Gestern schrieb ein kleiner Inselstaat in Ozeanien Geschichte: Tuvalu und eine Gruppe weiterer vom steigenden Meeresspiegel bedrohter Nationen errangen vor dem Internationalen Gerichtshof einen Etappensieg für das Klima. Der IGH bestätigte, was moralisch längst klar war: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, ambitionierten Klimaschutz zu betreiben – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.
Ein Sieg für die, denen das Wasser bis zum Hals steht. Ein Weckruf für die, die noch glauben, das alles gehe sie nichts an.
Hierzulande allerdings flackert die Nachricht höchstens mal kurz durch den Nachrichtenstrom, bevor sie wieder versickert – irgendwo zwischen EM-Aus der Frauen, Richterwahl-Debakel und „gefühlt normalem“ Sommer. Normal ist jedoch an diesem Juli 2025 gar nichts. Wir müssen aufwachen – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.
Hitze? Was für ein Zufall.
Wie gesagt: Es ist Juli 2025. Mannheim schwitzt. Ganz Deutschland schwitzt. Der Dürremonitor färbt sich tiefrot, die Freibäder platzen aus allen Nähten, die Äcker vertrocknen – und während wir kollektiv versuchen, durchzuhalten, mit Ventilator, eisgekühltem Minztee oder resigniertem Achselzucken – leugnen viele noch immer den Klimawandel.
Spoiler: Das was ihr grad merkt, das isser.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir leben wir in einem Land, in dem Millionen den Begriff „menschengemachter Klimawandel“ für noch immer wie eine Meinung behandeln. Wo Politiker:innen nicht nur von der zurecht auf dei Ersatzbank geschickten fdP von „Technologieoffenheit“ schwatzen (Gruß geht raus an Doro Bär), wenn sie eigentlich fossile Pfade meinen. Wo Wärme-, Verkehrs- und Agrarwende hinter Schlagworten und Machtspielen verschwinden.
Die derzeitige Behördenleiterin des BMWE, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche (CDU) präsentiert sich als „pragmatisch“ – was derzeit leider heißt: rückwärtsgewandt, konzernfreundlich, konfliktscheu. Unter ihrer Führung wurde der Solardeckel wiederbelebt, Windkraft an Land ausgebremst und das Heizungsgesetz bis zur Unkenntlichkeit entkernt. Statt Wandel zu gestalten, verwaltet sie Stillstand mit PR-Sätzen und arbeitet daran, Atomkraft als nachhaltige Energhie zu definieren.
Noch haben wir Handlungsspielräume. Aber sie schrumpfen rapide – und was sagt die Bundesregierung? Man setze auf „Innovationen“ und „Technologieoffenheit“. Klingt gut – meint aber oft nur: Wir behalten das Alte bei, solange es geht. Ein SUV, der E-Fuels fährt (also reine ), neu eingebaute Gasheizungen, die „wasserstoffready“ sind. Hauptsache, es klingt modern an. Tatsächlich sind diese Lösungen teils Science-Fiction, teils teuer und ineffizient – und vor allem Nebelkerzten, die von echten, einschneidenden Veränderungen ablenken. Empfehlenswert ist hier z. B. die Titelstory Die Mär von grünen Kraftstoffen im DUHwelt-Magazin 1/24.
Wir leben mittendrin.
Wir duschen kürzer, trennen brav den Müll, der dann gemeinsam im Heizkraftwerk verfeuert wird, reden über grüne Apps – und versieglen fleißig weiter Böden. Hauptsache, der Strompreis stimmt (zumindewst für die Industrie), und das Tempolimit bleibt ein Tabu.
Es wäre wirklich zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre.
Aber: Es ist noch nicht zu spät.
Wir brauchen nicht (nur) technische Lösungen, sondern gesellschaftliche Ehrlichkeit. Vor allem aber brauchen wir politisches Handeln, das endlich aufhört, den Planeten dranzugeben, damit der schönen Wirtschaft und den Dividenden nichts passiert. Nicht nur Klimaziele auf dem Papier, sondern einen klaren Bruch mit der Illusion, dass alles bleiben könne, wie es ist.
Wenn wir nichts ändern, wird sich alles ändern – und das wird nicht schön.
Vor einigen Tagen sind bei uns drei neue Mitbewohner:innen eingezogen, die ich euch heute gerne vorstellen möchten. Es handelt sich um die Igel Elvira, Edwin und Waldemar (Bild).
Das Igelnest Mannheim, eine ehrenamtlich tätige Stelle, rettet in Kooperation mit der Stadt Igel, die Opfer des Straßenverkehrs werden oder aufgrund der Klimakatastrophe keinen artgerechten Winterschlaf halten können und ohne Hilfe verhungern würden. Unter sachkundiger Anleitung von Gabriele Popp sind Julia und ich nun also Igel-Pat:innen und päppeln unsere drei stacheligen Freund:innen durch den Winter.
Bis sie im April/Mai 2022 ausgewildert werden können, versorgen wir sie mit artgeeignetem Katzentrockenfutter, Hundenassfutter und ungewürztem Rührei – und ganz viel Zuwendung. Willkommen, ihr drei!