Zwischen Markt und Moral: Warum Özdemirs „bürgerlicher Klimaschutz“ nicht reicht
Cem Özdemir, grüner MP-Kandidat hier in Baden-Württemberg, warnt vor einem „Linksruck“ der Grünen – und trifft damit einen Nerv. Vor allem meinen.
Wenn Özdemir seine Partei zur „einzigen bürgerlichen Oppositionspartei“ erklärt und den Markt zum Klimaverbündeten (also den Bock zum Gärtner) machen will, klingt das in der Tat wie eine Bewerbung – nur leider nicht für mutige Politik, sondern für die Koalitionsverhandlungen von morgen mit anderen sich als bürgerlich apostrophierenden Wirtschaftslobbyparteien. Seine Forderung: weniger Umverteilungsdebatten, mehr Vertrauen in marktwirtschaftliche Lösungen. Übersetzt heißt das: Ich scheiße auf soziale Gerechtigkeit, solang’s beim Daimler und bei Heckler&Koch brummt. Das passende Schreckgespenst hat er auch im Gepäck: Lasst uns nicht wie die SPD enden, also als marginalisierte Ex-Volkspartei. Doch wer so redet, hat längst begonnen, wie die CDU zu denken.
Denn was hier als „Zurück zum Markenkern“ verkauft wird, ist in Wahrheit die endgültige Preisgabe des grünen sozialökologischen Projekts. Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit ist nicht nur blind – er ist im Ansatz elitär und im Ergebnis unwirksam. Wer Transformation ernst meint, muss erklären, wer sie bezahlt – und wer das nicht tut oder das Geld nicht an den richtigen Stellen holt, treibt die Verlierer:innen dieser Umbrüche genau dorthin, wo Özdemir sie fürchtet: zur AfD.
Seien wir uns im Klaren darüber: Allein die Frage der Verteilungsgerechtigkeit entscheidet, ob wir als Gesellschaft durch die Klimakrise zusammenrücken oder (weiter) auseinanderbrechen – und ob wir ihr wirkunsgvoll etwas entgegensetzen können. Reichtum umverteilen, Konzernmacht brechen, Frieden über Aufrüstung stellen – das sind keine Altlinken-Parolen, sondern politische Überlebensfragen in einer Zeit multipler Krisen.
Özdemir sagt, die Grünen sollten keine bessere Linke sein (wollen). Vielleicht sollte er sich lieber fragen, ob sie noch eine glaubwürdige grüne Partei sind, wenn sie die soziale Frage so konsequent ignorieren. Denn zwischen Markt und Moral liegt ein Abgrund – und wir müssen wählen, auf welcher Seite davon wir stehen wollen.
Tuvalu kämpft ums Überleben. Wir um den Erhalt des Status quo.
Funafuti, Hauptstadt von Tuvalu. Foto: Lily‑Anne Homasi / DFAT (2011), via Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
Gestern schrieb ein kleiner Inselstaat in Ozeanien Geschichte: Tuvalu und eine Gruppe weiterer vom steigenden Meeresspiegel bedrohter Nationen errangen vor dem Internationalen Gerichtshof einen Etappensieg für das Klima. Der IGH bestätigte, was moralisch längst klar war: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, ambitionierten Klimaschutz zu betreiben – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.
Ein Sieg für die, denen das Wasser bis zum Hals steht. Ein Weckruf für die, die noch glauben, das alles gehe sie nichts an.
Hierzulande allerdings flackert die Nachricht höchstens mal kurz durch den Nachrichtenstrom, bevor sie wieder versickert – irgendwo zwischen EM-Aus der Frauen, Richterwahl-Debakel und „gefühlt normalem“ Sommer. Normal ist jedoch an diesem Juli 2025 gar nichts. Wir müssen aufwachen – nicht irgendwann, sondern auf der Stelle.
Hitze? Was für ein Zufall.
Wie gesagt: Es ist Juli 2025. Mannheim schwitzt. Ganz Deutschland schwitzt. Der Dürremonitor färbt sich tiefrot, die Freibäder platzen aus allen Nähten, die Äcker vertrocknen – und während wir kollektiv versuchen, durchzuhalten, mit Ventilator, eisgekühltem Minztee oder resigniertem Achselzucken – leugnen viele noch immer den Klimawandel.
Spoiler: Das was ihr grad merkt, das isser.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir leben wir in einem Land, in dem Millionen den Begriff „menschengemachter Klimawandel“ für noch immer wie eine Meinung behandeln. Wo Politiker:innen nicht nur von der zurecht auf dei Ersatzbank geschickten fdP von „Technologieoffenheit“ schwatzen (Gruß geht raus an Doro Bär), wenn sie eigentlich fossile Pfade meinen. Wo Wärme-, Verkehrs- und Agrarwende hinter Schlagworten und Machtspielen verschwinden.
Die derzeitige Behördenleiterin des BMWE, Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche (CDU) präsentiert sich als „pragmatisch“ – was derzeit leider heißt: rückwärtsgewandt, konzernfreundlich, konfliktscheu. Unter ihrer Führung wurde der Solardeckel wiederbelebt, Windkraft an Land ausgebremst und das Heizungsgesetz bis zur Unkenntlichkeit entkernt. Statt Wandel zu gestalten, verwaltet sie Stillstand mit PR-Sätzen und arbeitet daran, Atomkraft als nachhaltige Energhie zu definieren.
Noch haben wir Handlungsspielräume. Aber sie schrumpfen rapide – und was sagt die Bundesregierung? Man setze auf „Innovationen“ und „Technologieoffenheit“. Klingt gut – meint aber oft nur: Wir behalten das Alte bei, solange es geht. Ein SUV, der E-Fuels fährt (also reine ), neu eingebaute Gasheizungen, die „wasserstoffready“ sind. Hauptsache, es klingt modern an. Tatsächlich sind diese Lösungen teils Science-Fiction, teils teuer und ineffizient – und vor allem Nebelkerzten, die von echten, einschneidenden Veränderungen ablenken. Empfehlenswert ist hier z. B. die Titelstory Die Mär von grünen Kraftstoffen im DUHwelt-Magazin 1/24.
Wir leben mittendrin.
Wir duschen kürzer, trennen brav den Müll, der dann gemeinsam im Heizkraftwerk verfeuert wird, reden über grüne Apps – und versieglen fleißig weiter Böden. Hauptsache, der Strompreis stimmt (zumindewst für die Industrie), und das Tempolimit bleibt ein Tabu.
Es wäre wirklich zum Lachen, wenn es nicht so tragisch wäre.
Aber: Es ist noch nicht zu spät.
Wir brauchen nicht (nur) technische Lösungen, sondern gesellschaftliche Ehrlichkeit. Vor allem aber brauchen wir politisches Handeln, das endlich aufhört, den Planeten dranzugeben, damit der schönen Wirtschaft und den Dividenden nichts passiert. Nicht nur Klimaziele auf dem Papier, sondern einen klaren Bruch mit der Illusion, dass alles bleiben könne, wie es ist.
Wenn wir nichts ändern, wird sich alles ändern – und das wird nicht schön.
Neulich erreichte mich dieser Brief. Also ein echter, gedruckter Brief. Drei Seiten auf Papier. Von comdirect. Schon das allein ist verdächtig, denn das Letzte, was ich von dieser Bank in Papierform bekam, war ein aussageloser Werbeflyer zum Thema „Digitalisierung – wir sind bereit“.
Der Inhalt des Schreibens: Man habe „in den letzten Monaten mehrfach versucht, mich zu kontaktieren“. Ah ja. Wann genau? Zwischen den Spam-Mails zur ETF-Vorsorge und den Push-Nachrichten über das neue Design der App? Oder im geheimen Morsecode über meine Kontoauszüge, die ich nie abrufe?
Nun, jedenfalls sei ich nun dringend aufgefordert, mich zu melden – andernfalls werde man mein Konto fristgerecht kündigen. Eine erfrischende Mischung aus Gaslighting und passiv-aggressivem Schlussmachen per SMS. „Es liegt nicht an uns, es liegt an Ihnen, Herr Hoffmann.“
Pflichtbewusst rufe ich Schaf also die Hotline an – wie ein braver Kunde, der noch an Kommunikation glaubt. 17 Minuten lang lausche ich einer digital bimmelnden GEMA-freien Warteschleife, die sich wie ein musikalisches Stockholm-Syndrom in mein Ohr brennt. Schließlich meldet sich zu meiner kompletten Überraschung ein Mensch. Also, eine Stimme mit Namen. Ich nenne meine Kundennummer, mein Anliegen, wäre sogar bereit, ihm meine Schuhgröße zu offenbaren, doch der gute Mann unterbricht mich unsanft, aber bestimmt: Ohne meine achtstellige Identifikationsnummer könne er mir nicht weiterhelfen.
Ich entgegne, dass ich diese Nummer nicht kenne. Das sei, erklärt er, kein Problem – ich könne jederzeit online eine neue beantragen. Das dauere hächstens ein paar Tage. In seltenen Fällen Wochen. Man wisse es nicht genau, man sei ja schließlich bei einer Direktbank.
Nach Erhalt der neuen Nummer, so der weitere Plan, dürfe ich ihn dann erneut anrufen, um dann vielleicht – mit etwas Glück und der Gunst der Götter – mein Problem schildern zu dürfen. Also. vielleicht. Falls dann nicht wieder eine andere Nummer fehlt.
Ich frage mich, ob Kafka je daran gedacht hat, eine Novelle über Online-Banking zu schreiben. „Der Prozess“ wirkt im Vergleich zu comdirect jedenfalls wie eine recht transparente Angelegenheit. Ich hätte nicht gedacht, dass man im digitalen Zeitalter (ja, ich weiß, Neuland …) ausgerechnet bei einer Direktbank eine solche Freude an verpasster Kommunikation entwickeln kann.
Jedenfalls warte ich jetzt. Das kann ich super. Geduld ist meine ganz große Stärke. Auf die Identnummer. Auf den nächsten Hotline-Termin. Auf den Moment, in dem comdirect mir mitteilt, dass sie es erneut „mehrfach versucht“ haben, mich zu erreichen.
Vielleicht schreiben sie diesmal eine Nachricht in den Sand. Oder schicken einen Raben. Ich jedenfalls bleibe bereit – mit Kundennummer im Herzen und achtstelliger Sehnsucht im Blick.
Sie kam zu uns zu einem Zeitpunkt, als ich gar nicht sicher war, ob ich schon wieder mein Herz an eine Katze hängen kann. Doch als wir sie und ihren „Bruder“ Bär zum ersten Mal sahen, war es um uns geschehen. Sie kamen nicht ins Tierheim, sondern zu uns.
Seither hat sie neuneinhalb Jahre hinter der Wohnungstür auf uns gewartet, wenn wir mal etwas länger weg waren und zurückkamen. Sie hat auf meinem Bauch geschnurrt, wenn ich auf der Couch liegend Serien gebinget habe. Sie war mir eine bessere Freundin als mancher Mensch.
Eigentlich hieß sie Apple Pie, aber wer sie einmal sah, wusste, wie inadäquat dieser Name für sie war:
Flauschinskaja Trotzki Stormborn. First of her name. Devourer of Leckerlis. Tormentor of grasshoppers.Das ewige Kitten mit dem Killerinstinkt. Die Rückenschläferin unter den Ragdolls.
Flausch ist klar, wenn man sie sieht. Trotzki war nach fünf Minuten klar, wenn man sie erlebt hat. Lautstark erinnerte sie einen an ihren sehr eigenen Kopf, und heute noch hat sie sich, den Tod schon vor Augen, nicht die Treppe hochtragen lassen, sondern hat sie aus eigener Kraft bewältigt. Und Stormborn, weil sie bei Wind und Wetter auf ihrem Lieblingsbalkon lag und es genoss, wenn Luft durch ihr weiches, langes Fell strich.
Wir hatten beide die Hand in diesem weichen langen Fell, als wir heute bis zum Ende bei ihr waren. Sie hat den Kampf gegen den Tumor verloren.
Flausch ist tot, und ich finde keine Worte, um aufzuschreiben, wie weh mir das tut.
Flausch ist tot. Aber ich habe noch ihre Haare in meinen Lieblingsklamotten.
Farewell, Pinselohrin.
Danke, dass du unser Leben fast zehn Jahre lang so viel reicher gemacht hast.
Gute Reise, Flausch Stormborn.
Der Wind, der um den toten Kirschbaum tanzt, flüstert deinen Namen.
Angelika Niestrath und Andreas Hüging in Palma/Isla Baleares. Foto: Olaf Ballnus
Manchmal bekommt man von einem coolen Verlag ein Exposé gezeigt, verbunden mit der Frage, ob man Lust hat, daran als Lektor zu arbeiten, das einen innehalten lässt. Nicht weil es das Rad neu erfindet. Aber weil es eine ganz eigene Tonalität hat. Eine wiedererkennbare Handschrift. man ist angenehm überrascht und sagt: „Ja klar!“ So ging es mir kürzlich – als zwei alte Hasen plötzlich ganz neue Wege einschlugen.
Angelika Niestrath und Andreas Hüging – das sind Namen, die man aus dem Kinderbuchbereich kennt. Ihre Bücher – klug, witzig und oft ein bisschen anarchisch – haben sich in viele Familien eingeschrieben. Andreas ist Musiker und schreibt mit rhythmischem Gespür, Angelika bringt jahrzehntelange Erfahrung im Buchhandel und einen ganz eigenen Blick auf Geschichten mit. Gemeinsam erschufen sie unter anderem die Straßentiger-Reihe oder die Storys um Roki, einen Roboter mit Herz und Schraube.
Doch was passiert, wenn zwei kinderbucherprobte Kreative sich austoben gehen – mit der klaren Ansage: „Jetzt machen wir mal was ganz anderes“?
Genau das darf ich als Lektor nun begleiten. Ich sage nur so viel: Es ist kein Kinderbuch. Es ist keine Musikstory. Es ist … sagen wir: unterhaltsam auf eine Art, die Erwachsene freuen wird. Humorvoll, schräg, liebevoll geschrieben – mit einem Blick für Details und eine Freude an Typen, die man gerne beobachtet, von denen man manche aber nur ungern zum Kaffee einladen würde.
Was ich nicht sagen darf: Titel, Inhalt, genaue Richtung, Schauplatz und Figuren. Was ich sagen kann: Es erscheint, wenn wir im Plan bleiben – und davon gehe ich bei drei Profis in einem Boot aus – im Mai 2026. Es wird anders, und es trägt das Markenzeichen von zwei Menschen, die ihr Handwerk verstehen – und sich trotzdem trauen, ausgetretene Pfade zu verlassen.
Ich freue mich sehr auf dieses Buch – und bin gespannt, wie viele von euch es im Regal des Buchhandels vor ort (buy local!) erkennen werden, wenn es so weit ist. Keine Sorge: Ich sage euch rechtzeitig Bescheid.
Vielleicht darf ich um die Buchmessen rum schon mehr verraten. Bis dahin sage ich nur: Spannung mit Augenzwinkern – versprochen.
Ein Roman über die Radikalisierung einer Journalistin zur gewalttätigen Umweltaktivistin in einer nahen Zukunft, in der die Klimakatastrophe längst keine Nachricht mehr, aber dafür die afd an der Regierung ist: Das klingt nach einem dringlichen Stoff. Theresa Hannigs Roman Parts per Million, ausgezeichnet mit dem Seraph 2025 für das „beste phantastische Buch“, will viel – und liefert dabei erstaunlich wenig.
Denn wo ein Werk über Klima-Aktivismus, Polizeigewalt und Rebellion die scharfe Kante der politischen Fiktion hätte zeigen können, bleibt Hannigs Roman seltsam vage. Statt Systemkritik bietet er Selbstbespiegelung, statt narrativer Tiefe eine autofiktionale Geste, die sich mit Andeutungen begnügt. Das Buch wirkt, als sei es nicht für Leser:innen geschrieben, sondern fürs Feuilleton – oder zumindest für eine Jury, die literarische Relevanz über narrative Konsequenz stellt.
Dabei wäre das Sujet, eine Art postfossile RAF unter digitalem politischem und medialem Dauerfeuer, durchaus spannend. Doch Hannig schrammt arg an der Oberfläche entlang. Die Protagonistin, theoretisch zerrissen zwischen Familie und Revolution, bleibt seltsam unkonkret, ihre Motivation eher Behauptung denn Entwicklung, und während die Welt um sie herum sozial, ökologisch, ideologisch brennt, bleibt der Text kühl. Ein politisches Buch, das sich um manifeste politische Haltung drückt, ist wie ein Thriller ohne Spannung: wohlmeinend, aber blass.
Besonders auffällig ist dabei die Überfrachtung mit biografischem Ballast: Hannigs Heldin trägt eine patriarchalisch beschädigte Familiengeschichte mit sich herum, die weniger vertieft als durchdekliniert wirkt – als müsse die Figur eine seelische Fußnote bekommen. Dass all das auch noch in einem erzählerisch sehr konventionellen Ton daherkommt, macht die Lektüre zäh. Man fragt sich unweigerlich, wo hier das Lektorat geblieben ist – oder ob jemand sich schlicht nicht traute, dem Tagebuchprosa-Wildwuchs der vielfach ausgezeichneten Autorin Grenzen zu setzen.
Denn genau das ist das größere Problem dieses Romans: nicht, dass er schlecht wäre – sondern dass man ihn als den besten seiner Gattung prämiert hat. Wenn ein Werk wie Parts per Million, das nicht einmal Phantastik ist, einen Preis für das „beste phantastische Buch“ gewinnt, wirft das Fragen auf. Nicht nur über die Entscheidung der Jury, sondern über die Definition des Genres. Wird hier weniger Phantastik prämiert als vielmehr Feuilletonkompatibilität?
Noch belastender ist der Eindruck eines Preis-Kaskadeneffekts: Hannigs Renommee als progressive Autorin mit relevanten Themen scheint ihr ein Standing zu sichern, das kritische Auseinandersetzung verhindert. Man fragt sich unwillkürlich: Wie schwach waren die anderen Einsendungen, wenn ein literarisch so uneingelöstes Werk den Seraph gewinnt?
Parts per Million ist beileibe kein schlechtes Buch. Es ist ein ambitionierter, aber letztlich nicht gelungener Versuch, Gegenwartskritik in Literatur zu gießen. Ein Text, der viel anreißt, aber wenig durchdringt – und es ist meiner Ansicht nach der falsche Preisträger, weil seine Schwächen – Erzählstruktur, Figurenzeichnung, Tiefe – seine Stärken – Thema, Zeitgeist, Anspruch – überwiegen und er zudem im falschen Genre prämiert wurde.
Ein Debattenbeitrag? Möglicherweise. Ein Roman, der die Debatten weiter bringt? Leider nicht.
Ich kenne viele Serien zum Thema Kochen, Kulinarik und Reisen und bin ein großer Fan beispielsweise von Anthony Bourdain. Aber keine hat mich so nachhaltig beeindruckt wie die ersten paar Folgen von Tucci in Italy, die ich bisher gesehen habe. In der deutschen Version (streambar über Amazon/RTL living) entfaltet diese Produktion ihre volle Kraft: sinnlich, klug, berührend – und überraschend politisch.
Denn Stanley Tucci belässt es nicht bei Pasta und Panini. Klar, das Essen ist spektakulär gefilmt, die Gespräche mit Bäcker:innen, Köch:innen und Adligen sind voller Herzlichkeit – aber darunter liegt stets ein echtes Interesse an der Geschichte und Gegenwart Italiens. Tucci fragt nach und hört zu, und das macht einen Unterschied.
In Sizilien beispielsweise trifft er auf Geflüchtete und Helfer:innen – statt kitschiger Sonnenuntergänge bekommen wir hier Einblicke in die komplexe Realität eines Landes an der europäischen Außengrenze. In der Lombardei spricht Tucci mit einem Politiker der Lega Nord – einem Vertreter einer Partei, die sich offen gegen Migration stellt. Das Gespräch ist respektvoll, aber nicht unkritisch – Tucci lässt es sich nicht nehmen, dem Fremdenfeind in seiner eigenen Küche Paroli zu bieten. Tucci lässt Widersprüche stehen, ohne sie zu glätten, und genau das macht die Serie so wertvoll.
„Tucci in Italy“ zeigt, dass Kulinarik (wie alles) politisch ist. Wer isst was wann, woher kommen die Speisen – das ist immer auch eine Frage von Identität, Macht und Wandel. Tucci serviert in dieser Serie keine einfachen Antworten, sondern Begegnungen, und das auf eine Art, die mich gleichzeitig berührt, unterhält und inspiriert.
Fazit: Diese Serie ist ein Genuss – nicht nur für den Magen, sondern für Herz und Verstand. Eine echte Empfehlung für alle, die Italien lieben – und bereit sind, auch seine Risse zu sehen.
Der Kampf geht weiter – my 5 Cents zum Internationalen Frauentag
Feminismus à la Union
Heute ist der 8. März – Internationaler Frauentag. Ein Tag, um Stellung zu beziehen. Ein Tag, an dem ich mich als Verbündeter verstehe – als jemand, der nicht schweigt, nicht zusieht, sondern mitgeht, mitkämpft, mitfordert.
Ich stehe auf der Seite aller, die für Gleichberechtigung kämpfen. Das bedeutet erst mal zuhören, dabei lernen und dann die Stimme erheben. Dieser Kampf ist nicht nur einer der Frauen, sondern betrifft uns alle. Er macht unsere Gesellschaft gerechter, freier, soldarischer und menschlicher.
Wir alle stehen auf den Schultern derer, die vor uns für Frauenrechte gekämpft haben. Derer, die brannten. Derer, die auf Demonstrationen marschierten, obwohl ihre Füße bluteten. Derer, die schrieben, obwohl man ihnen die Finger brach und auch derer, die ihre Stimme erhoben, obwohl die Welt sie zum Schweigen bringen wollte.
Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
Denn solange Frauen in Deutschland weiterhin für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer, obwohl es schlicht illegal ist, solange ihre Körper politische Verhandlungsmasse sind, solange Gewalt gegen Frauen systematisch verschwiegen wird, kann sich kein Mann, der auch nur einen Funken Empathie im Leib hat, zurücklehnen. Es reicht nicht, nicht Teil des Problems zu sein – wir müssen Teil der Lösung werden. Solidarisch, unnachgiebig, entschlossen und ungeteilt: Solidarität kennt keine Grenzen, keine Hautfarben, keine Identitäten, keine Geografie. Frauenrechte sind Menschenrechte. Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger.
Von daher ist es und tut es natürlich gut, heute zu feiern – die bisherigen Errungenschaften (so unzulänglich sie oft auch sind), die Siege, die unerschütterliche Kraft, mit der Frauen überall auf der Welt für ihre Rechte eintreten. Aber morgen (na gut, spätestens Montag, okay?) müssen wir, um Heidi Reichinnek zu zitieren, zurück auf die Barrikaden. Worte müssen sich in Taten umsetzen, Empörung in Veränderung, Hoffnung in Realität.
Für die, die waren. Für die, die sind. Für die, die kommen. Let’s shake that tree.
Im Folgenden nehme ich mir mal JD Vances Rede ein bisschen zur Brust. Viel Spaß beim Lesen.
1. Populistische Rhetorik und Vereinfachung der Redefreiheitsdebatte
Vance behauptet, die Meinungsfreiheit in Europa und den USA sei bedroht, insbesondere durch Zensur seitens Regierungen und privaten Unternehmen („Ich fürchte, die Redefreiheit ist auf dem Rückzug ….“). Dabei verkürzt er die Thematik erheblich. Problematisch daran:
Widerspruch zur Realität: Es gibt in den meisten westlichen Demokratien keine umfassende Zensur. In Deutschland ist sie sogar explizit verboten. [1]Stattdessen gibt es Regulierungen gegen Desinformation, Hassrede und Verleumdung – also Dinge, die oft nachweisbare Schäden anrichten können (z. B. Impfgegner-Desinformation während der Covid 19-Pandemie).
Begriffsverwirrung: Er vermischt die (in D verbotene) „Zensur“ mit der Tatsache, dass Plattformen wie Twitter oder Facebook (jetzt X und Meta) als private Unternehmen Regeln für die Inhalte aufstellen dürfen. Dies ist aber mitnichten staatliche Zensur, sondern unternehmerische Moderation.
Doppelmoral: Während er sich gegen vermeintliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit in D ausspricht, unterstützt er ein politisches Lager, das in den USA versucht, Bücher zu verbieten, LGBTQ+-Rechte zu unterdrücken und kritische Medien als „Fake News“ zu diffamieren (letztes Beispiel: Ausschluss der Presseagentur AP aus Briefings des Weißen Hauses).
2. Ideologische Verzerrung der Geschehnisse um die Wahl in Rumänien
Vance kritisiert, die rumänischen Präsidentschaftswahlen sei annulliert worden, weil angeblich russische Desinformation involviert war („… dass Rumänien im Dezember dieses Jahres die Ergebnisse einer Präsidentschaftswahl aufgrund des fadenscheinigen Verdachts eines Geheimdienstes und des enormen Drucks seiner kontinentalen Nachbarn einfach annulliert hat.“) Problematisch daran:
Halbwahrheiten und Unterstellungen: Er stellt die Geschehnisse um die Wahl in Rumänien so dar, als habe das rumänische Verfassungsgericht die Wahl nur wegen eines Verdachts annulliert, während in Wirklichkeit unabhängige Wahlbeobachter:innen und Sicherheitsdienste auf massive Manipulationen hingewiesen haben. Das bleibt unerwähnt.
Verharmlosung russischer Einflussnahme: Er spielt die Bedrohung durch russische Desinformation herunter („wenn eure Demokratie durch ein paar Hunderttausend Dollar Werbung zerstört werden kann, dann war sie nicht stark“). Dies ignoriert, dass russische Einflussnahme oft tiefgehende gesellschaftliche Spaltungen verstärkt und gezielte Propaganda betreibt (z. B. 2016 bei der ersten Trump-Wahl in den USA und Brexit-Kampagne).
3. Verteidigung rechtspopulistischer Parteien und Angriffe auf den demokratischen Diskurs
Vance kritisiert, dass die Sicherheitskonferenz populistische Parteien ausgeschlossen haben und bezeichnet Begriffe wie „Desinformation“ als „sowjetische Sprache“. Problematisch daran:
Legitimation rechtsextremer Gruppen: Vance, selbst rechtsextremer [2]Ultrakatholik, stellt es so dar, als würde hier eine legitime politische Gruppe unterdrückt. Dabei werden rechtsextreme Parteien oft auf Basis demokratischer Grundsätze ausgeschlossen, wenn sie nachweislich demokratiefeindlich oder antidemokratisch agieren (vgl. ausstehender Prüfungsantrag AfD-Verbot).
Instrumentalisierung des Begriffs Meinungsfreiheit: Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jede Partei einen Platz auf jeder Konferenz bekommt. Es gibt keinen „Anspruch“ darauf, auf einer Plattform wie der Münchner Sicherheitskonferenz zu sprechen – oder um es verkürzt zu sagen: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“.
4. Scheinheiligkeit in Bezug auf die transatlantische Sicherheitskooperation
Vance fragt, „Wofür verteidigen wir Europa eigentlich?“, um Zweifel an der NATO und an gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen zu säen. Problematisch daran:
Ablenkung von der realen Bedrohungslage: Statt über Russlands Überfall auf die Ukraine oder Chinas Einflussnahme zu sprechen, schwenkt er auf innereuropäische Debatten über Redefreiheit und Demokratie um – ein rhetorischer Trick, um dringende Sicherheitsfragen zu entpolitisieren.
„America First“-Ideologie: Seine Rede folgt der klassischen Trump-Doktrin: Europa soll mehr für seine eigene Verteidigung tun (wobei die USA die prozentualen Forderungen selbst nicht erfüllen), während sich die USA auf „andere Regionen“ konzentrieren. Dies untergräbt aber die seit Kriegsende bewährte transatlantische Allianz.
Heuchlerische Kritik an „Angst vor den Wählern“: Er beschuldigt europäische Politiker, Angst vor ihren Wählern zu haben, obwohl er selbst einem politischen Lager angehört, das Wählerunterdrückung in den USA betreibt (z. B. Wahlrechtsverschärfungen in republikanisch regierten Bundesstaaten).
5. Hetze gegen politische Gegner in den USA
Zum Schluss behauptet Vance, die Regierung Biden habe Zensur betrieben, während Trump für Meinungsfreiheit kämpft. Problematisch daran:
Falsche Darstellung der US-Politik: Er erwähnt nicht, dass Trump während seiner Amtszeit selbst Journalisten als „Feinde des Volkes“ bezeichnet [3]und wiederholt Druck auf Medien ausgeübt hat. Auch seine Verbündeten haben versucht, Wissenschaftler und Kritiker einzuschüchtern (z. B. Dr. Fauci während der Pandemie).
Verharmlosung demokratiegefährdender Praktiken: Die erste Trump-Administration hat Gesetze verabschiedet, die das Wahlrecht einschränken und es schwieriger machen, gegen autoritäre Tendenzen vorzugehen. Vance spricht das nicht an, weil sein eigenes Lager davon profitiert.
Fazit: Eine gefährliche, spalterische und manipulierte Rede
Vance betreibt klassische rechtspopulistische Rhetorik, indem er behauptet, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr, obwohl es keine Beweise für staatliche Zensur gibt.
Er verharmlost russische Einflussnahme und stellt legitime Sicherheitsbedenken als Panikmache dar.
Er nutzt populistische Verdrehungen, um rechtsextreme Parteien als Opfer darzustellen und demokratische Institutionen zu delegitimieren.
Seine transatlantische Sicherheitsstrategie ist ein verkappter Rückzug der USA aus Europa, was NATO und EU destabilisieren wird.
Er kritisiert angebliche politische Unterdrückung, während sein eigenes Lager demokratiefeindliche Maßnahmen in den USA umsetzt.
Seine Rede ist rechtsextrem, weil sie den Rechtsstaat angreift, populistische Bewegungen als vermeintliche Freiheitskämpfer stilisiert und die westliche Demokratie insgesamt als unterdrückerisch darstellt. Sie ist spalterisch, weil sie bewusst Feindbilder schafft und europäische Demokratien als schwach und verlogen darstellt.
Fakt ist hingegen:
Die Meinungsfreiheit ist nicht unterdrückt, sondern wir schützen unseren demokratischen Wertekonsens durch das Konzept der wehrhaften Demokratie.
Die NATO ist eine bewährte Sicherheitsstruktur – Abschottungspolitik schwächt den Westen.
Russische Desinformation ist eine reale Gefahr – Vance spielt sie absichtlich herunter.
Rechtspopulistische Parteien sind nicht Opfer, sondern Täter und selbst Feinde der Demokratie.
Trump und sein Lager haben alles andere als eine weiße Weste – sie betreiben selbst Angriffe auf Pressefreiheit und Demokratie.
[1]Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 5:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
[2] Er lobte beispielsweise öffentlich den Blogger Curtis Yarvin, der unter anderem fordert, die Amerikaner müssten endlich ihre Angst vor einem Diktator überwinden, und korrespondiert mit Jack Posobiec, einem rechtsextremen Wirrkopf und Erfinder der Pizzagate-Verschwörungstheorie.
Das Sammelwerk von Essays rechtsextremer Denker mit dem Titel «Up from Conservatism» pries Vance in einer Rede im Dezember 2023 an. Mindestens einmal trat er bei einer Veranstaltung eines gewissen Lance Wallnau auf. Dieser verbindet rechtsextreme Politik mit christlicher Theologie. Der «Guardian» hat kürzlich auch aufgedeckt, dass ein führender Mitarbeiter des Stabes von Vance zuvor für Beck & Stone tätig war, einer Beraterfirma der äußersten Rechten.